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Uncharted: The Lost Legacy

Uncharted: The Lost Legacy

Mit geballter Frauenpower versucht Naughty Dog ihrer beliebten Uncharted-Serie eine neue Richtung zu geben. Doch hat Nathan Drake wirklich schon ausgedient?

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Was zuvor als Story-DLC für Uncharted 4 geplant war, tritt uns nun als neuer eigenständiger Ableger des Franchise gegenüber. Mit Uncharted: The Lost Legacy leitet Entwicklerstudio Naughty Dog neue Zeiten für die Spielereihe ein. Während wir uns zuvor als Nathan Drake durch Banditenlager und Ruinen kämpften, übernehmen wir nun die Rolle einer alten Bekannten: Chloe Frazer. An ihrer Seite steht Nadine Ross, ehemalige Chefin der paramilitärischen Organisation Shoreline und Gegenspielerin im vorherigen Teil der Serie. Mit dem Auswechseln der Hauptcharaktere geht das Studio ein großes Risiko für die Spielereihe und seine Zukunft ein. Überträgt sich der Schatzjäger-Charme auf den neusten Titel?

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Abgesehen von einigen Sequenzen ist das Spiel erstaunlich offen, die lineare Struktur fällt häufig gar nicht auf.

Wer die vorherigen Uncharted-Teile angespielt hat, dem sollte Chloe noch ein Begriff sein. Im zweiten Teil der Serie als scharfsinnige Schatzjägerin und Freundin von Nathan eingeführt, wurde sie über die Jahre eine der beliebtesten Charaktere im Uncharted-Universum. Nun kommt ihre Chance, sich zu beweisen. Mit Nadine hat ihr Naughty Dog das genaue Gegenstück zur Seite gestellt und das Ergebnis ist eine interessante Mischung. Als Söldnerin schließt sie Nadine Chloe bei der Suche nach dem berüchtigten Zahn des Ganesha an, der irgendwo in den westlichen Gebirgen Indiens liegen soll.

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Die bekannte Uncharted-Formel bleibt trotz des Charakterwechsels gleich. Wir infiltrieren Lager, begeben uns in verlassene Ruinen, lösen Rätsel und kämpfen uns im Anschluss erneut durch Gegnergruppen. Nebenbei erklimmen wir atemberaubende Landschaften und gönnen uns auch mal eine Verschnaufpause. Dadurch ergibt sich ein schöner Spielfluss, auch wenn ich ab und zu etwa durch einen Klippensturz herausgerissen wurde. Der Titel sorgt zwar die meiste Zeit dafür, dass erklimmbare Abhänge oder greifbare Vertiefungen im Stein gut gekennzeichnet werden, in einigen Abschnitten wurde mir mein eigentliches Ziel jedoch nicht wirklich klar. Abgesehen von einigen Sequenzen ist das Spiel jedoch erstaunlich offen, denn mit Uncharted: The Lost Legacy will Naughty Dog den Spielern mehr Freiraum bieten.

Zwar bleibt The Lost Legacy serientypisch verhältnismäßig linear, durch die großen, frei erkundbaren Landschaften gerät dieser Aspekt jedoch oft in den Hintergrund. Neben der Hauptgeschichte warten zudem optionale Beschäftigungen auf uns, etwa das Entdecken von Schätzen, Rätseln oder verlassenen Orten. Zwar werden wir noch immer durch visuelle Wegleiter, wie ein Tor aus Lianen oder eine bestimmte Anordnung des Gebiets, zu unserem Ziel geleitet, uns steht jedoch frei, ob wir uns auf direktem Wege dorthin begeben oder zuerst den Rest der Landschaft erkunden möchten.

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Die Freundschaft der beiden Frauen startet zweckmäßig, Chloe benötigt Hilfe und heuert dafür Nadine an.
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Um die Erkundung in Videospielen zu erleichtern, geben uns Entwickler gern diverse Hilfsmittel an die Hand und pflastern das HUD mit Informationen zu. In The Lost Legacy sind es lediglich eine analoge Karte und unsere Augen, die uns den Weg zu unserem Ziel weisen. Dabei spielt vor allem die Topographie der Landschaft eine Rolle, denn die wichtigen Orte sind von sämtlichen Erhöhungen aus zu sehen. Im Gespräch erwähnt Nadine zum Beispiel, dass wir uns einem zum großen Wasserfall begeben müssen und allein indem wir danach Ausschau halten, finden wir den richtigen Weg. Entdecken wir dabei interessante Orte, zeichnet Chloe diese nachträglich in unsere Karte ein. Dem ein oder anderen mag das vielleicht zu viel des Guten sein, aber in einem Spiel, in dem es vordergründig um das Erkunden geht, ist das mehr als passend.

Die Zusammenarbeit zwischen Nadine und Chloe steht stets im Vordergrund des Erlebnisses und ist oftmals der geschichtliche Aufhänger in den Zwischensequenzen. Die Thematik der Freundschaft wurde in den vergangenen Jahren von vielen Videospielen behandelt und auch Uncharted: The Lost Legacy nimmt sich in der knapp zehnstündigen Erfahrung die Entwicklung einer solchen Beziehung vor. Zu Beginn des Abenteuers ist die Verbindung der Charaktere rein zweckmäßig - Chloe benötigt Hilfe bei der Beschaffung des Artefakts und heuert dafür Nadine an.

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Die Rätsel variieren in ihrer Form und Herausforderung, aber ich hätte mir hier mehr Anspruch gewünscht.

Die beiden könnten nicht unterschiedlicher sein und geraten beim Besprechen der Planung oftmals aneinander. Während Chloe ganz im Sinne von Nathan Drake lockerer und humorvoll daherkommt, stellt Nadine mit ihren durchdachten Taktiken die militärische Gegenseite dar. Es sind die persönlichen Geschichten der beiden und die Geschehnisse im Laufe der Spielzeit, die eine wahrhaftige Freundschaft aufbauen. Es ist nicht die kumpelhafte Beziehung der zwei Frauen, die The Lost Legacy ausmacht, sondern vielmehr der Fakt, dass es dem Spiel gelingt, die beiden Figuren so organisch aneinander zu führen. Ihr Verhalten wirkt authentisch und ergibt auch aus menschlicher Sicht Sinn.

Die Rolle unseres Gegenspielers übernimmt Asav, ein narzisstischer Kriegshetzer und Anführer der indischen Rebellion. Mit ihm haben die Entwickler einen charismatischen, psychopathisch-angehauchten Antagonisten erschaffen, der trotz seines unauffälligen Aussehens Angst und Schrecken verbreitet. Mit kurzen Monologen über das reine indische Blut, das durch seine Adern fließen soll und dem unausstehlichen Gefasel über die "Reinigung" seiner Kultur, bietet er ein sehr aktuelles und lebendiges Abbild eines unsympathischen Gegenspielers. Umso enttäuschender ist es, dass sich die Interaktion mit Asav auf sehr wenige, kurzweilige Momente beschränkt und wir uns insgesamt deutlich intensiver mit seinen Rebellentruppen beschäftigen.

Naughty Dog ist für die Verschmelzung zwischen Spielmechanik und Narrative bekannt. Durch das natürliche Geflecht von Ästhetik und technischer Raffinesse gelingt es dem Studio auf einzigartige Art und Weise, eine immersive Welt zu schaffen. Spannenderweise war es ausgerechnet die künstliche Intelligenz Nadines, vor der er mich im Vorlauf des Spiels am meisten graulte. Denn nichts reißt uns so schnell aus einer spannenden Geschichte, wie die offensichtlichen Fehler einer stupiden Begleiter-KI. Zum Glück war das bei Nadine nicht der Fall.

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Entdecken wir dabei interessante Orte, zeichnet Chloe diese nachträglich in unsere Karte ein.

Beim Lösen von Rätseln agierte sie selbstständig und half mir das ein der andere Mal, wenn ich zu lange nicht vorankam. Während der Kampfsequenzen erledigt sie zielsicher unsere Gegner, doch natürlich gibt es auch Fehler im KI-Verhalten. Zum Beispiel wenn Nadine nur wenige Meter vor einem Feind steht und der sie trotz direktem Blickkontakt nicht zu sehen scheint. Das sind kleinere Probleme, die die Atmosphäre schnell ins Lächerliche ziehen, doch würde jeder Feind auf Nadine genauso reagieren, wie auf uns, dann würden wir recht wenig vom Schleich-Aspekt des Spiels mitbekommen. Durch die ständige Nähe von Nadine, den Gesprächen und der engen Zusammenarbeit mit ihr wächst sie aus der Rolle einer computergesteuerten Entität heraus und nimmt die Verantwortung eines (zweiten) Hauptcharakters ein.

Auch abseits der Charaktere bemerkt man die enge Verbindung zwischen Gameplay und der Geschichte. Während wir in unserem Jeep herumfahren und Nadine über ihre Vergangenheit befragen, treffen wir auf manchmal auf Gegner. Wenn wir den Wagen stoppen, um uns um die Rebellen kümmern, unterbricht auch Nadine ihr Gespräch und nimmt es im Anschluss logisch wieder auf. Momente wie diese sorgen dafür, dass wir zu jedem Zeitpunkt mit der Geschichte konfrontiert werden und sich ein natürlicher Gesprächsfluss bildet. Ab und zu taucht eine Sprechblase über Nadines Kopf auf, was uns signalisiert, dass das momentane Gesprächsthema noch weitere Informationen bereithält. Wer mag, nutzt die Chance, um mehr über die indische Kultur und Dynastie der Hoysala zu erfahren- das ist rein optional.

Da wir die Rolle einer Archäologen-Tochter, respektive einer Schatzjägerin einnehmen, stehen vor allem die geschichtlichen Hintergründe der Ruinen Indiens und das Lösen der Rätsel im Vordergrund. Diese variieren in ihrer Form und Herausforderung, auch wenn mir persönlich ein wenig der Anspruch dabei fehlte. Mit keinem der Rätsel verbrachte ich länger als zehn Minuten, entsprechend verhalten war das Gefühl der Euphorie beim Lösen der Aufgaben. Die Inszenierung der Puzzle ist großartig und bietet auf verschiedenste Arten Abwechslung, doch beim Entdecken einer Stadt, die seit Jahrhunderten nicht betreten wurde, hatte ich mir eine größere Herausforderung erhofft.

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Chloe und Nadine sind mehr als nur ein hübscher Ersatz für Nathan, die beiden taffen Frauen haben einiges auf Lager.

Mit Uncharted: The Lost Legacy beweist Naughty Dog erneut, dass sie die Verschmelzung von Geschichte und Mechaniken meistern. Innerhalb von zehn Stunden werden wir durch Wände geschmissen, hangeln uns über steile Abgründe und werden von einer Explosion in die andere geworfen. Auch wenn einige Aspekte, wie die Darstellung von Asav, zu kurz kommen und die Rätsel gerne etwas herausfordernder hätten ausfallen dürfen, bekommen wir mit The Lost Legacy ein klassisches Naughty Dog-Spiel, das uns mit viel Over-the-Top-Action durch eine spannende Geschichte führt. Chloe Frazer und Nadine Ross führen die Legende von Nathan Drake erfolgreich fort und sind mehr als gebührend für kommende Abenteuer geeignet. Ob wir Chloe und Nadine noch einmal als Duo wiedersehen werden, wird der Erfolg des Spiels entscheiden.

08 Gamereactor Deutschland
8 / 10
+
Nadine stellt nützlichen Begleiter dar; Geschichte zwischen Chloe und Nadine ist schön inszeniert; abwechslungsreiche Umgebungen.
-
Interaktion mit Umgebung manchmal undeutlich; Rätsel teils etwas anspruchslos
overall score
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